Kunst und Kontext im Stadtlabor Berlin-Moabit

sans papiers – Das Leben ist eine Reise, Teil 3.2
2017

Nina Fischer & Maroan el Sani, Sara Nabil
Ausstellung: 12. – 30. September 2017

Nina Fischer & Maroan el Sani: Concrete Castle
installation

Die mehrteilige Installation von Nina Fischer & Maroan el Sani in den Räumen von Kurt-Kurt ist eine Berlin Premiere und besteht aus der Skulptur Concrete Castle, einer Reihe von Papierarbeiten und Grafiken und dem Film Identity’s Rule of Three, der in Kooperation mit Bertold Stallmach entstand. Im 20-minütigen Film Identity’s Rule of Three nehmen uns Nina Fischer & Maroan el Sani und Bertold Stallmach in verschiedenen Akten mit auf eine Reise. Teils reisen wir tatsächlich mit den Protagonisten von Land zu Land von Grenze zu Grenze. Teils nimmt uns das Künstlerduo aber auch mit auf Gedanken-, Erinnerungs-, Wahrnehmungs- und Reflektionsreisen. So führt der Weg vom Görlitzer Park nach Afrika und zurück zur Baustelle des Schlosses in der Mitte von Berlin. Sozusagen on the road werden aktuelle Themen wie Identität, Individuum, Lebensraum, aber auch Fragen zu Authentizität, sozialen Strukturen, Gesellschaft, Migration aufgegriffen und behandelt.
Im Zentrum steht die Frage der Identität. Ausgehend von einer psychologischen Studie zur Wahrnehmung von sich selbst stellt sich die Frage „Wie sehe ich mich und wie werde ich von den Anderen gesehen?“. Es geht aber auch um die künstlerische Identität bzw. den losgelösten, unabhängigen, freien künstlerischen Umgang mit aktuellen Themen.
Spielerisch, teilweise durch die animierten Figuren auch naiv anmutend, widerspiegelt der Animationsfilm komplexe Themen und doppelbödige Strukturen unserer Gesellschaft. Das Publikum reist aus bekannten Berliner Orten, Kontexten und Diskussionen in drei Akten nach Afrika und wieder zurück. Auf diesem Weg begegnen wir uns selbst und unserer Welt, so dass sich das Beziehungsgeflecht neu ordnet und dadurch auch zu neuen Diskussionen anregt.
Das Berliner Schloss aus dem Film wird auch als Skulptur unter dem Titel Concrete Castle im Raum präsent sein. Wir sehen den Rohbau des Berliner Stadtschlosses – als Ruine, versandet, einer afrikanischen Wüste nicht unähnlich, mit einem hölzernen improvisierten Hide Out anstelle der königlichen Kuppel, unvollendet und offen für neue Bespielungen.
Die Video-Rauminstallation wird begleitet von zwei Papierarbeiten, die aus einer größeren Serie stammen und einen ganz besonderen Hintergrund haben: Stadt und Land Berlin finanzieren das Betonskelett des Berliner Stadtschlosses, während die dekorativen Elemente von privaten Spendern bezahlt und symbolisch erworben werden können. Fischer & El Sani widmen diese Kampagne um und rufen auf, anstelle des symbolischen Erwerbs einzelner Elemente des zukünftigen Stadtschlosses, durch den Kauf ihrer Papierarbeiten die Wiederbelebung der Bamun-Schrift zu unterstützen und so für den Wiederaufbau einer fast verlorenen Kultur einzutreten, die einst in der ethnologischen Sammlung Dahlem untergebracht war und bald im neuen Schloss einziehen wird.

Sara Nabil (AFG): The lost Identities of the Century
installation

Auch Sara Nabil stellt in ihrer dreiteiligen Arbeit The lost Identities oft he Century das Thema Identität ins Zentrum. Ihr Fokus liegt aber auf den verlorenen, verschwundenen, auf der Flucht gebliebenen, vom Meer verschluckten Individuen, deren Identität auf dem Weg zu uns ausgelöscht wurde. In einer Wandinstallation stellt die Künstlerin für geflüchtete Menschen, die sie in Berlin in Flüchtlingsunterkünften kennengelernt hat, Pässe aus. Es wird aber auch Pässe ohne Bild und Namen geben, die das Spektrum an möglichen Schicksalen sichtbar machen: Von Flucht mit Ankunft in einem neuen Land und einer Chance auf eine neue Identität mittels neuem Pass bis zum Verlust von Allem. Es geht Sara Nabil in ihrer Arbeit um die blinden Stellen, um das nicht Sichtbare, um das Verlorengehen von Menschenleben, ohne Identität, ohne Namen, ohne Reaktion irgendwo zwischen Syrien, Afghanistan, Tschetschenien, Eritrea etc. im tiefen blauen Meer.
Die zweite Station ihrer Arbeit ist ein großes Aquarium mit Wasser aus dem Mittelmeer. Für diese Installation bittet die Künstlerin die Besucher*innen Gegenstände von unersetzlichem, persönlichem Wert, bzw. einen symbolischen Platzhalter dafür, mitzubringen und ihr, der Künstlerin, zu erlauben, diesen unwiederbringlich im salzhaltigen Wasser des Aquariums zu versenken. Die gespendeten Gegenstände lassen uns in einem zwar nicht vergleichbaren, aber doch spürbaren Maße den Verlust von liebgewonnenen, mit starken Erinnerungen verknüpften, nicht ersetzbaren Objekten erleben.
Während der Eröffnung wird Sara Nabil die mitgebrachten Erinnerungsbilder, Briefe, Schmuckstücke, Geschenke u.ä. in einer Performance dem fiktiven Meer im Aquarium übergeben und ihre persönlichen Fragen „Wie hoch ist der Preis, den die Menschen für ihre Flucht bezahlen? Was bleibt auf der Strecke: Identität, Würde, Erinnerung, Leben…? Und wie kann dieser Wert/diese Summe, die nicht in Euros oder Dollars auszudrücken ist, dargestellt, vermittelt und sichtbar gemacht werden?“ zu Fragen von uns allen machen.